Gruselige Halloween-Challenge im Uhrenschloss

Liebe Leser*innen,

pünktlich zu Halloween, dem Fest des Grauens, haben wir von der Effner-Welt etwas Besonderes für euch: Isolde Burghardt (8h) nimmt uns mit auf eine gruselige Halloween-Challenge im Uhrenschloss. Gute Nerven und viel Spaß beim Lesen!

 

Der Sensenmann im Uhrenschloss

Halloween – das vielleicht schlimmste Fest überhaupt, zumindest für die Jugendlichen. Denn in Jennys braver Kleinstadt gab es an Halloween jedes Jahr die „Sechs-Uhr-Challenge“. Irgendjemand Unbekanntes organisierte sie immer und suchte sich 20 gleichaltrige Teenager aus der Stadt aus, die entweder mitmachen oder eine horrende Geldstrafe zahlen mussten. Und das könnte auch bedeuten, dass sich der mysteriöse Veranstalter, wenn nötig, das Geld höchstpersönlich abholte und davor hatte man am meisten Angst, schließlich kannte niemand den großen Unbekannten und man hatte Sorge vor dem, was dadurch noch passieren konnte. Und gleichzeitig fürchtete jeder dieses Fest, da es in den letzten Jahren immer öfter dazu kam, dass die ausgewählten Kinder völlig verändert und ängstlich von ihren „Aufgaben“ zurückkamen.

Und dieses Jahr geschah es: Jenny wurde eingeladen. Zitternd öffneten sie und ihre Mutter den schwarzen Briefumschlag, der am Morgen des 31. Oktobers vor ihrer Haustür lag. Als Jenny den Brief herauszog, rieselte Asche auf den Boden und ein verbrannter Geruch machte sich breit. Langsam faltete sie den Brief auseinander und las vor:

 

Wo auch immer du bist
Ich werde dich finden
So ergib dich doch gleich
Um keine Zeit mehr zu schinden

 Du wirst dich begeben
Heute Abend um zehn
Ins Moor vor dem Schloss
Eine Runde zu dreh`n

 So kommst du heut` Abend
Doch komm bloß allein
Sonst wird das letztendlich
Dein Ende gewesen sein

-Der Sensenmann

 

„Der Sensenmann also“, sagte Jenny. Sie zitterte heftig. „Aber“, begann sie flüsternd und hoffnungsvoll, „den gibt es doch nicht wirklich, oder Mama?“ Vor ihrem geistigen Auge sah sie das Skelett mit dem schwarzen Umhang, das in alten Kirchen zu sehen war. In der einen Hand hielt es eine Sense, in der anderen eine laut tickende Uhr, die einem klar machen sollte: Deine Zeit ist bald abgelaufen, beeil dich! Denn wenn sie vorbei ist, kommt der Tod und holt dich! „Nein, nein, den gibt es nicht“, antwortete ihre Mutter, während sie Gemüse schnitt, was in Jennys Ohren nicht sehr überzeugend klang. Der Tag glitt leise und schneller an den beiden vorüber als es ihnen lieb war. Es war schon neun Uhr abends, als das Mädchen noch einmal hoffnungsvoll fragte: „Muss ich wirklich da hin? Gibt es denn keine andere Möglichkeit?“ Jenny hatte Angst, nach all den Geschichten, die sie gehört hatte. „Schätzchen, ich verstehe, dass du Angst hast. Aber sieh mal: Halloween ist zum Gruseln da und sicher ist das alles nur ein Scherz. Alle Kinder sind bisher zurückgekommen. Ich bleibe wach und warte morgens auf dich. Hab einfach Spaß mit den anderen Jugendlichen, die du dort triffst. Vielleicht feiert ihr ja eine große Halloweenparty?“, meinte ihre Mutter ein wenig hoffnungsvoll und versuchte, sie zu ermutigen. „Also dann“, seufzte Jenny. Ihre Mutter wischte sich die Hände am Geschirrtuch trocken, nahm sie bei den Schultern und sagte: „Los, beeil dich. Du kommst auf jeden Fall wieder, das sind alle bisher. Ich hab‘ dich lieb, ja? Vergiss das nicht!“, rief sie ihrer Tochter hinterher. In Wirklichkeit machte sie sich aber doch ein wenig mehr Sorgen, als sie zugab. Sie sah nur noch, wie Jenny die dunkle Straße hinunterlief und dann mit der Finsternis verschmolz.

Es gab nur ein Schloss in der Nähe, das sogenannte Uhrenschloss. Doch um dorthin zu gelangen, musste Jenny durch das Moor, in welchem sich um diese Zeit niemand gerne aufhielt. Dennoch blieb sie zuversichtlich und trat in den Schatten der ersten Bäume des Moores, die der Halbmond warf. Sofort bemerkte sie den fauligen Geruch und den dichten Nebel, der sie umhüllte. Fröstelnd schlang sie die Arme um ihren Oberkörper während sie Schritt für Schritt tiefer in das Moor vordrang. Es umgab sie die absolute Stille der Nacht, nichts regte sich, nur ihr eigener Atem und das dumpfe Geräusch ihrer Schritte durchbrachen diese Stille. Sie blickte immer wieder besorgt um sich, weil sie das Gefühl hatte, beobachtet und verfolgt zu werden. Als es dann hinter ihr laut knackte, drehte sie sich panisch um und meinte durch den Nebel eine Gestalt im schwarzen Umhang gesehen zu haben. Ohne darüber nachzudenken, rannte sie los, dem undeutlichen Weg stets folgend. Es sah so aus, als ob die milchigen Schwaden Gesichter formten, die ihr mit schaurigem Echo zuflüsterten: „Lauf, Jenny! Lauf!“

Αls das Moor nach einem ewigen Sprint endlich endete, blieb das Mädchen stehen. Schweißgebadet stützte sie die Hände auf ihre Knie und versuchte ihren keuchenden Atem unter Kontrolle zu bekommen. Sie drehte sich um, aber von dem schwarzen Unbekannten im Umhang war nichts mehr zu sehen, auch die Nebelgesichter verzogen sich wieder brav zu normalen Schwaden. War also doch alles nur eingebildet, jetzt sei mal nicht so ängstlich, redete sie sich in Gedanken ein. Jenny richtete sich auf und sah sich um. Sie befand sich auf einer Lichtung, welche von dem dunklen Moor umschlossen wurde. Die Lichtung bestand aus einem grasbewachsenen Hügel, auf dem das große Uhrenschloss thronte. Es sah sehr alt aus, war mit dürren Pflanzen überwachsen und viele Türme ragten in die schwarze Nacht. Über dem monströsen Eingangstor befand sich außerdem eine gigantische Uhr. Im fahlen Mondlicht sah Jenny, dass es kurz vor zehn war. Nach und nach erblickte sie immer mehr Gestalten, die sich aus den Schatten des Moores lösten, ebenfalls keuchend – es waren die anderen Jugendlichen. Sie gingen aufeinander zu und stellten sich ängstlich gegenseitig vor. „Wisst ihr, was wir hier tun müssen?“, fragte ein großgewachsener Junge, von dem Jenny immer geglaubt hatte, er sei älter als sie selbst. „Ich bin übrigens Finn.“ „Keine Ahnung“, meinte ein anderes Mädchen, welches sich als Marie vorgestellt hatte, „Ich will es aber auch gar nicht wissen, eigentlich will ich nur wieder nach Hause. Dieses Moor hat mir schon gereicht.“ „Und jetzt?“, fragte Jenny. „Ich schätze, wir gehen zum Schloss hoch, oder?“, schlug Finn vor. Da niemand einen Einwand hatte, begann sich die kleine Gruppe langsam in Bewegung zu setzten. Auf halber Strecke zum Schloss kam ihnen jedoch jemand entgegen. Beim Näherkommen ließ sich erkennen, dass es sich um eine Frau handelte, die einen Kinderwagen für Neugeborene vor sich herschob. Mit leerem Blick starrte sie auf den Wagen und schien ein Schlaflied für Kinder zu singen. Als die Gruppe an ihr vorbeiging und Jenny einen Blick in den Kinderwagen erhaschen konnte, schreckte sie mit einem leisen Schrei zurück, auch die anderen hatten es gesehen – der Wagen war leer, seltsame Flecken waren neben einem mottenzerfressenen Teddybären auf dem weißen Deckchen zu sehen. Doch trotz der schockierten Schreie ignorierte die Frau sie und sang noch lauter.

Still gingen sie weiter. Kurz bevor sie das Schloss erreichten, deutete Finn nach oben auf eines der dunklen Fenster und meinte: „Da ist jemand.“ Tatsächlich: eine schwer zu erkennende Gestalt mit langen Haaren stand mit einer Kerze in der Hand an einem der riesigen Fenster und starrte sie geradeheraus an und blies dann unvermittelt die Kerze aus, sodass die Kinder nichts mehr erkennen konnten. Im selben Moment öffneten sich vor ihnen die gewaltigen Schlosstore und gaben den Blick auf einen langen Gang frei, an dessen Wänden unzählige Uhren hingen und vor sich hin tickten. Die Teenager traten wie von magischer Hand hineingezogen ein. Schlagartig schlossen sich hinter ihnen die Tore und trennten sie von nun an von der Außenwelt. Auf einmal trat eine große Gestalt mit schwarzem Umhang in den Flur. In der einen Hand hielt sie eine Sense, in der anderen eine Uhr. Es war der Sensenmann. „Es gibt ihn also doch“, wisperte Jenny und dachte an ihre Mutter, die nicht daran geglaubt hatte. Alle erstarrten augenblicklich und blickten voller Angst auf die grausig lachende Figur, die sich ihnen näherte. „Jetzt sind also alle da“, schallte die rasselnde Stimme, „dieses Jahr leider nur 18, den anderen muss ich also wohl noch einen persönlichen Besuch abstatten… Also. Die Regeln sind einfach: Ihr müsst bis um sechs Uhr in der Früh in meinem Schloss verbleiben! Aber versucht gar nicht erst zu fliehen! Viel Glück!“ Teuflisch lachend verschwand der Sensenmann vor ihren Augen ebenso schnell im Nichts, wie er gekommen war.

Die Aufgabe hörte sich leichter an, als sie es war – immer wieder gingen Türen auf, man hörte Schreie und Schritte, die immer lauter wurden. Die Gruppe kauerte sich eng im Foyer des Schlosses zusammen, all diese Geräusche machten sie wahnsinnig. Sie blieben die ganze Nacht wach, niemand wagte es zu schlafen. Ein paar Mutige versuchten sogar zu fliehen, aber die Tore waren hoffnungslos verschlossen. Und als Finn zusammen mit ein paar der Jungen aus der Gruppe versuchte, in den anderen Stockwerken eine Fluchtmöglichkeit zu finden, kamen sie nach ein paar Minuten schreiend zurück und erzählten, es hätte sie jemand verfolgt und sei immer schneller geworden, je eiliger sie versucht hatten wegzulaufen. So verlief die ganze Nacht, pausenlos. Um kurz vor sechs Uhr, als alle wie betäubt nur noch auf das Ende dieser grausamen Nacht hofften, begannen abschließend die Uhren immer lauter zu ticken. Das nervenaufreibende Tick-Tack schwoll zu einem immer lauter werdenden Getöse an, wie ein Presslufthammer dröhnte es in den Ohren, sodass man verrückt werden musste.

Als sich die Tore Schlag sechs endlich öffneten, stürmten alle panisch hinaus, ignorierten die leichenblasse Kinderwagenfrau, welche immer noch ihr gruseliges Wiegenlied sang, strömten auseinander. Jenny schrie und rannte um ihr Leben, blieb im Gebüsch hängen, rannte weiter, stolperte durch das Moor, die Hände auf die Ohren gepresst, ignorierte die Nebelschwaden die wieder nach ihr zu greifen schienen. Und endlich, als sich das Moor lichtete, merkte sie, dass alle anderen Jugendlichen gar nicht allzu weit entfernt waren, genauso um Atem ringend wie sie. In sanften Strahlen brach die Sonne durch den Frühnebel und verscheuchte langsam die Geister der Nacht. Jenny verlangsamte ihren Schritt, holte Luft und nahm die Hände von den Ohren. Da, sie vernahm Stimmen! Stimmen, ganz viele Stimmen vor ihr! Waren das Jubelschreie? Sie traute ihren Sinnen nicht mehr! Immer mehr Menschen konnte sie im zunehmenden Licht ausmachen und sie schienen sich zu freuen!

In der Tat, eine große Gruppe erwartete die Zurückgekehrten mit Plakaten, Süßigkeiten und heißen Getränken, Eltern schlossen ihre geplagten Kinder in die Arme. Ihre Mutter stand ganz vorne und eilte Jenny entgegen. „Jetzt“, ihre Stimme zitterte schuldbewusst, „hast du es endlich hinter dich gebracht, mein Kind, es tut mir so leid, dass ich dir nichts sagen durfte…eine wirklich gruselige Tradition, die sich da unter euch Jugendlichen seit Jahren hält. Schau, da sind die Schuldigen!“ Und Jenny blickte hinüber zu einigen älteren Jugendlichen, die grinsend dastanden und Tee verteilten. Da kam Finn zu ihr und schmunzelte verlegen: „Na? Alles wieder gut? Ich konnte dir nichts verraten. Einer von uns Großen muss immer mitmachen, um das Spiel notfalls abzubrechen, falls wirklich etwas passiert. Jetzt gehörst du mit zum Kreis der Eingeweihten, aber du darfst niemals ein Wort darüber verlieren!“ „Du, du – sag nicht, dass du das alles wusstest…!“, entgegnete Jenny fassungslos, aber irgendetwas hielt sie davon ab, Finn wirklich böse zu sein, „Aber eins musst du mir noch verraten: Wer war denn nun der Sensenmann?“ „Ob du es glaubst oder nicht – jetzt kann ich es dir ja verraten – für diesen gemeinen Spaß ist unser Bürgermeister höchstpersönlich zuständig.“

Isolde Burghardt und J. Beurer von der Effner-Welt


Zuletzt überarbeitet am 31.10.2021